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RUNNING DIRECTION

Süddeutsche Zeitung vom 15.11.2011

 

Wer zu schnell ist, wird gestaucht

‚Running Direction‘ – ein Potsdamer Fotoexperiment mit Schlöndorff, Petzold und anderen deutschen Regisseuren

Volker Schlöndorff brachte die Blechtrommel mit – die kleine Trommel, die David Bennent geschlagen hatte, im Jahr 1979, als Schlöndorff den Roman von Günter Grass verfilmte und dafür dann mit einem Oscar ausgezeichnet wurde. Nun sollte er sich in Potsdam mit der Trommel selbst vor eine außergewöhnliche Kamera stellen für ein einmaliges Projekt, ‚Running Direction – Regisseure im Zeitraum‘. Vierzehn deutsche Regisseure ließen sich vom Künstlerpaar Axel und Birgit Koschies aufnehmen.

Das poetische Bild, das dabei herauskam, ist kein Computereffekt, ihm liegt keine Spielerei zugrunde. Es ist entstanden, als die Koschies mit den Regisseuren vor ihrer Schlitzkamera versuchten, die vierte Dimension auf einem einzigen Bild einzufrieren. Die oft surrealen, großflächigen Bilder von der eingefangenen Zeit werden gerade in der Galerie Sperl im Potsdamer Nikolaisaal gezeigt. Neben Schlöndorff kamen auch Dani Levy, Christian Petzold, Michael Klier, Yasemin Şamdereli, Jürgen Böttcher / Strawalde und lieferten sich der schwer berechenbaren Kamera aus, die im Ergebnis zunächst mal alles Langsame verlängert und nachdrücklicher zeigt, und alles Schnelle staucht und komprimiert. Wer allzu schnell ist, hinterlässt kaum Spuren: je schneller, desto kleiner.

In der Kamera läuft der Film ganz langsam hinter dem Objektiv vorbei, ohne anzuhalten. Der Schlitz bleibt, anders als bei anderen Kameras, ständig offen. Was nun lange vor dem schmalen Schlitz bleibt, wird auf dem Bild gezogen und breit.

Die so entstandenen Zeit-Raum-Variationen erzählen Geschichten über jeden der 14 Regisseure – man könnte denken, dass sie zum Vorschein bringen, was sonst nicht zu sehen ist. Einige der Drucke wirken wie markante biographische Skizzen. Andreas Dresen, dessen neuer Film, das Krebsdrama ‚Halt auf freier Strecke‘, diese Woche ins Kino kommt, blieb nur wenige Sekunden vor dem Schlitz. Dresen lachte viel, er zog sich für ein Bild aus. Auf den entstandenen Drucken springt er wie ein Kobold, der schonungslos und in aller Ausführlichkeit die ganz normalen Extreme alles Menschlichen offenlegt.

Volker Schlöndorff spielt mit seiner Blechtrommel und das Künstlerpaar Koschies bannt seine Bewegung in ein fotografisches Bild. Foto: Koschies

Bei Schlöndorff wurde die Inszenierung einige Dutzend mal neu versucht – er selber tat allerdings nicht viel dazu. Mal stand er, dann ging er. Die Trommel wurde ihm ins Bild gereicht, oder – für ein anderes Motiv – hinter ihm hergerollt, das sieht nun aus, als würde die Trommel den Filmemacher verfolgen. In einem anderen Druck ergibt sich eine größere Erzählung: Die Blechtrommel verformt sich in Schlöndorffs Hand, die sich nahezu endlos in die Länge zieht. Am Ende des Weges ist die Trommel groß zu erkennen und scheint noch über das Bild hinauszureichen. Es könnte ‚Lebensweg‘ heißen, Axel und Birgit Koschies haben es ‚The Gift‘ genannt.

Jens Schneider