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RUNNING DIRECTION

Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) vom 22.10.2011

 

Der bewegte Regisseur

Ausstellung: Die Serie „Running Direction“ des Fotografen-Ehepaars Koschies in der Galerie Sperl. Auf den kunstvoll mit der Schlitzkamera aufgenommenen Fotografien gerinnt die Zeit.

Surrealistische Fotografie in der Sperl-Galerie – wie geht das? Anfangs ist alles real: die Akteure, die Requisiten, die Fotografen, die Technik, das Aufnahmematerial. Was dann als fotografische Aufnahme entsteht, ist im Bild surreal. Wer erinnert sich da nicht an Dali, aber auch an Francis Bacon!

14 Regisseure haben Modell gestanden, genauer: sind Modell gelaufen. Man hat sich mit dem Fotografen-Ehepaar Koschies verständigt, was man in Szene setzt, wie man sich bewegt. Andreas Dresen spielt gestisch eine „Comédie humaine“, Dani Levy probiert ein Trockenrudern, Hannes Stöhr jongliert, Pola Schirin Beck spielt mit Andreas Kannengießer Ball. Doch nicht der Bruchteil einzelner Bewegungsphasen wird festgehalten. Auf den langen Formaten breitet sich in oft verwirrenden Formen der Ablauf einer Handlung aus. Zeit wird nicht in Einzelbilder zerschnipselt, Zeit wird als Formverlauf im Bild sichtbar.

Das entscheidende technische Gerät ist eine spezielle Kamera, die anstelle des Verschlusses einen Schlitz hat. Sie zeichnet die Bewegung der Akteure in einer Langzeitbelichtung von drei Sekunden auf.

Das Fotografenehepaar Koschies vor dem Bild von Andreas Dresen
Foto MAZ / Bernd Gartenschläger

Was dabei entsteht, übertrifft jeden malerischen Surrealismus. Andreas Dresen verschmilzt in seinen Bewegungen zu einem ganzheitlich bewegten Formpanorama, aus dem Köpfe herauswachsen, scharf oder verschwommen je nach der Aufnahmerichtung. Ein Kopf, ein Porträt ist auf jedem Bild zumindest einmal scharf, um den oder die Abgebildeten zu identifizieren. Das einzige Bild der Ruhe, des unbewegten Körpers ist jenes mit Jürgen Böttcher alias Strawalde. Ruhe signalisiert der über das ganze Zeitbild hinweg gezogene, zum Farbbalken mutierte Körper. Wundersam sind die farbigen Spuren bewegter Gegenstände in ihrer Verformung wie etwa Bälle. Arme können sich schier endlos in die Länge ziehen oder erhalten auf beiden Enden Hände. Ein geradezu verrücktes Eigenleben führen die Schatten. Hier eröffnet sich eine neue „wundersame Geschichte“ für Chamissos „Peter Schlemihl“.

Die Anregung, Regisseure in nicht alltäglicher Weise einmal selbst ins Bild zu bringen, wurde vom Projektbüro „2011 Potsdam – Stadt des Films“ an das Fotografen-Ehepaar Koschies herangetragen, beide erfahren und erfolgreich im Bereich der Theaterfotografie, der Werbung und Illustration. Seit 1990 arbeiten sie mit der Schlitzkamera.

Die aktuelle Serie „Regisseure im Zeitraum“ – in der Ausstellung „Running Direction“ genannt – ist erstmals auf farbigem Filmmaterial entstanden. Sie ist unbestritten einer der originellsten und künstlerisch überraschendsten Beiträge zum Themenjahr „Stadt des Films“.

Dr. Arno Neumann