KOSCHIES – SURFACES
Märkische Allgemeine Zeitung (MAZ) vom 15.09.2023
Landschaften aus Haut und Haar
Das Babelsberger Künstlerpaar Koschies hat Köpfe mit einer Spezialkamera fotografiert – ihre Panoramen sind ab Samstag in der Vulkanfiberfabrik in Werder in der Ausstellung „SURFACES“ zu sehen
Von Peter Degener
Axel und Birgit Koschies vor einem ihrer Panorama-Porträts
Foto: Julius Frick
Ein bärtiges Männergesicht wird zur bewachsenen Dünenlandschaft, der saubere Haarschnitt zur Baumgrenze in den Höhenlagen eines Frauenkopfes, das glänzende Auge zum kleinen Gewässer. Die Babelsberger Fotokünstler Axel und Birgit Koschies sehen Landschaften in ihren 360-Grad-Porträts menschlicher Köpfe. Doch wer die Bilder zum ersten Mal sieht, zeigt sich oft verstört. Die aufgefalteten Gesichter offenbaren einem alles auf einmal, irritieren durch die Anordnung von Augen, Ohren und Hinterkopf in einer Reihe, zeigen die Oberfläche der Haut als flaches, entrolltes Pergament.
„Diese Verstörung kommt daher, weil die normale Fotografie unsere Augen imprägniert hat. Was wir heute als normal empfinden, ist die Zentralperspektive“, erklärt Axel Koschies. Auf den Bildern, die ab Samstag in der Vulkanfiberfabrik in Werder unter dem doppeldeutigen Titel „Surfaces“ im wandfüllenden Format zu sehen sind, gibt es aber keine räumliche Perspektive mehr. Das liegt an der einzigartigen Aufnahmetechnik.
„Das absolute Gegenteil von einem Selfie.
Es gibt keine Filter, sondern ungeschönte Details“
Axel Koschies
Das Ehepaar experimentiert seit Jahrzehnten mit Schlitzkameras, die in der Öffentlichkeit vor allem beim „Photo-Finish“ eines Wettlaufs präsent sind und das Gegenteil einer Kamera mit Zentralverschluss tun. Eine Schlitzkamera nimmt nicht einen Raum, sondern nur einen schmalen Ausschnitt auf – diesen aber permanent wie einen Film. Aber nur, wenn sich etwas vor dem Schlitz bewegt, wird es sichtbar. „Aus einem zeitlichen Nacheinander wird ein räumliches Nebeneinander“, erklärt Birgit Koschies.
So zeigen die Kopfpanoramen die langsame Drehung des Modells vor dem Aufnahmeschlitz. Die Porträtierten saßen dabei im Studio auf einem Stuhl, der sich in 30 Sekunden einmal um die eigene Achse dreht. „So ein Bild kartografiert auch, was in dieser halben Minute in einem Menschen vor sich geht. Es ist das absolute Gegenteil von einem Selfie. Es gibt keine Filter, sondern ungeschönte Details“, sagt Axel Koschies. Die kunsthistorischen Assoziationen sind vielfältig und reichen von archaischen Totenmasken bis zu Pablo Picasso, der die Gesichter seiner Modelle zerlegte, neu zusammensetzte und dabei Profil und Ansicht von vorn gleichzeitig möglich machte.
Die meisten Modelle wurden bis zu 100 Mal fotografiert, bis es gelang. „Häufig verrutscht ein Auge“, sagt Birgit Koschies. Denn von der Aufnahme des einen Auges bis zur Aufnahme des anderen vergehen mehrere Sekunden. Auf einigen Bildern sind die Augen deshalb geschlossen, was wie entspannter Schlaf wirkt.
Wer auf den Bildern zu sehen ist, verraten die Künstler nicht. „Es sind bekannte Musiker, Leistungssportler, Millionäre, aber auch Obdachlose, ehemalige Strafgefangene, Studierende, Menschen von der Supermarktkasse, auch Gesichter aus Potsdam und Werder“, zählen sie auf. Die Namen bleiben geheim, die Herkunft verratende Accessoires sind abgelegt. „Gerade das Nichtauflösen der Herkunft ist ein interessanter Aspekt. Oft sind wir konfrontiert mit Vermutungen und haben dadurch erfahren, wie sehr diese bei der Einschätzung der persönlichen Hintergründe der Porträtierten differieren“, erklären sie. Der Betrachter sieht das ganze Gesicht – und dennoch erkennt jeder darin jemand anderen.
Ausstellung „SURFACES“ im September 2023 jeweils 12-18 Uhr in der historischen Vulkanfiberfabrik, Adolf-Damaschke-Str. 56-58, 14542 Werder
30 Sekunden dauert die Drehung des Modells vor dem statischen Objektiv der Kamera
Fotos: Koschies
Ein fokussierter Blick war für manche Modelle schwierig – sie behielten deshalb die Augen geschlossen
Wie auf manchen Bildern Picassos ist die junge Frau gleichzeitig von vorn und teils im Profil zu sehen