GRENZGANG FOTOKUNST
Wiesbadener Kurier / Wiesbadener Tageblatt vom 17.08.2019 (Auszug)
Fototage Wiesbaden
Das Ausloten von Grenzen ist seit jeher immanenter Bestandteil von Fotokunst. „Grenzgang Fotokunst“ ist das Thema der 11. Wiesbadener Fototage, die vom 17. August bis zum 1. September dazu einladen, zeitgenössische Fotografie zu entdecken. (…)
Die Grenzen der Dimensionen sprengen KOSCHIES mit monumentalen Portraits im Ministerium für Wissenschaft und Kunst.
11. Wiesbadener Fototage 2019
KOSCHIES » Surfaces «
Die anlässlich der Wiesbadener Fototage im Ministerium für Wissenschaft und Kunst ausgestellten Arbeiten des Künstlerehepaares Koschies gehören zu einem Bereich experimenteller Kunst, bei der eine Raumachse durch die Zeitachse ausgetauscht wird.
Als fotografische Technik dient dabei das Schlitzkamera-Verfahren, das historisch auf Kameras zurückgeht, die ab 1843 nachweisbar sind. Der Film wird hinter einem schmalen Spalt bewegt und dadurch kontinuierlich belichtet. Ein Zeitablauf wird dadurch „mitgeschrieben“. Während bei herkömmlichen Langzeitbelichtungen das Statische scharf abgebildet wird und das Bewegte verschwimmt, ist es hier umgekehrt – es gibt ein Vorher und ein Nachher nebeneinander auf demselben Bild.
Die beiden Künstler haben bereits vor etlichen Jahren mit dieser Technik viel Aufsehen erregt, weil sie Zeit auf neuartige Weise sichtbar gemacht und dadurch eine neue Bildästhetik angeboten haben. Inzwischen arbeiten sie auch digital, was ihnen Farbaufnahmen ermöglicht.
Für die Wiesbadener Fototage haben sie eine Serie von Portraits ausgewählt. Hierbei sieht man, wie etwa auch in den Werken Picassos, verschiedene Bereiche des Kopfes, der für die Aufnahme sozusagen „abgerollt“ wird, gleichzeitig. Das erlaubt nicht nur eine Ansicht des ganzen Kopfs, sondern bietet auch eine völlig neuartige Gestaltungssprache an, weil der Betrachter die optische Deformierung nicht unmittelbar entschlüsseln kann. Auf diese Weise können Persönlichkeitsaspekte der dargestellten Menschen erkennbar werden, die in der konventionellen Portraitfotografie weitgehend verborgen bleiben.
Die so fotografierten Portraits zeichnen sich durch eine verstörende Präsenz und Wucht aus; die zum Teil sichtbare Unterschiedlichkeit der Blickachsen belegen, dass bei jedem Bild eben ein zeitlicher Ablauf zu sehen ist, der in der Momentfotografie nicht zum Tragen kommt.
Alexander Glück