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MIRAKEL – BILDER AUS DER VIERTEN DIMENSION

Potsdam Life / Ausgabe 41 – Herbst 2015

 

25 Jahre KOSCHIES – ein Künstlerpaar aus Potsdam-Babelsberg

Es ist die alte Geschichte vom Propheten im eigenen Lande – ebenso geht es ungewöhnlichen Künstlern, deren Rolle für die Gesellschaft von der des Propheten nicht so weit entfernt angesiedelt ist.
Registriert hatte ich dieses markante und immer schwarz gekleidete Paar schon seit längerem. Begegnen konnte man ihnen in dieser Stadt immer, irgendwo. Vom Habitus und Outfit her war klar, dass es „Kreative“ sind. Aber dass es sich bei den beiden um erfolgreiche Künstler handelt, die z. B. im letzten Jahr mit einer großen Einzelausstellung in der Kunsthalle Wiesbaden geehrt wurden, ging an mir wie an vielen Potsdamern bisher vorbei. Erst auf einer der vielen letztjährigen Potsdamer Vernissagen mündete der Small-Talk in einer angeregten Unterhaltung. Doch nicht etwa über Kunst kamen wir ins Gespräch, sondern über die flügge gewordenen Kinder. Um es gleich vorweg zu nehmen: Zwei Kinder sind neben einem beeindruckendem Werk die Erfolgsbilanz von 25 Jahren KOSCHIES.

KOSCHIES – Porträt Clamé

Das nächtliche Studium eines Kataloges des Paares brachte die Überraschung und die Erkenntnis: Dies ist eine ganz geheimnisvolle Kunst, so eigenartig wie der Künstlername KOSCHIES. Über ihren gemeinsamen Nachnamen hinaus möchten die beiden sich mit ihren vollen Bürgernamen nicht outen – und das hat einen Grund. Beide sind nicht nur im Leben eine Paar, sondern verschmelzen geradezu in ihrer Kunst. Der kreative Flow lässt keine persönliche Identifikation zu. Das dies seit 25 Jahren möglich und vor allem auch erfolgreich ist, scheint dem Außenstehenden ebenso ein Mirakel, wie die Werke, die sie in der gleichnamigen Ausstellung MIRAKEL anlässlich dieses Jubiläums in der Galerie KUNST-KONTOR bei Friederike Sehmsdorf präsentieren. Das Künstlerpaar zog vor 18 Jahren von Berlin nach Potsdam-Babelsberg. Nicht nur wegen der natürlicheren Umgebung für die Kinder, sondern auch wegen der besonderen Atmosphäre in diesem Potsdamer Stadtteil. Noch heute schwärmen die beiden von der Aufbruchsstimmung in dem damals keineswegs so herausgeputzten Viertel. Vieles atmete den Verfall, aber die Aura, die unzählige kreative Geister in diesen Häusern, Studios und Ateliers hinterlassen hatten, war noch spürbar. Seitdem ist Potsdam der Lebensort der KOSCHIES.

KOSCHIES – Futur 1 (Ausschnitt)

Die in einem Vierteljahrhundert entstandenen fotografischen Arbeiten sind Sichtbarmachungen der 4. Dimension, von Z e i t r ä u m en in der buchstäblichen Bedeutung des Wortes. Damals bekamen die junge Fotografin – an der Lette-Schule ausgebildet – und der Theater- und Kommunikationswissenschaftler eine alte Schlitzkamera in die Hände. Eine der Erfindungen des genialen holländischen Ingenieurs Albert Bouwers (1893-1972). Das dieses Zusammentreffen zu einer Initialzündung werden würde, war damals nicht abzusehen.

Was macht die Arbeiten von KOSCHIES so magisch?

Ein normales Foto zeigt auf den Koordinatenachsen die zwei Raumdimensionen Höhe und Breite. Bei einem durch die Schlitzkamera aufgenommenen Bild sind die Dimensionen anders verteilt – statt der Breite wird die Zeit sichtbar. Die Aufnahme erfolgt nicht zu einem Zeitpunkt, sondern über einen Zeitraum hinweg. Somit wird die 4. Dimension physikalisch wie künstlerisch sichtbar gemacht und eine Realität abgebildet, die der Mensch mit seinen Sinnesorganen normalerweise nicht wahrnehmen kann. Eine eigene Welt mit anderen Gesetzmäßigkeiten und ästhetischen Qualitäten, mit permanenten Schwebezustände der Dargestellten, mit Dopplungen und Verformungen. Schatten fallen zum Teil in verschiedene Richtungen oder verhalten sich anders als die zugehörigen Personen. All diese verfremdenden Elemente sind bedingt durch den von KOSCHIES gestalterisch instrumentalisierten Einfluss der Zeit bei der Aufnahme selbst und dokumentieren deren Verlauf. Inhalt und Ästhetik der Bilder beziehen sich auf die Simultanität sowie die Dynamik des Futurismus; sie verweisen darüber hinaus auf surrealistische Vorbilder und die partiellen Deformationen in den Werken Francis Bacons.

KOSCHIES – Love is a Battleshield (Ausschnitt)

Die Aufnahmen mit der Schlitzkamera entstehen in der Zwischenwelt von Fotografie und Film. Durch einen immer geöffneten, schmalen Spalt wird ein dahinter in konstanter Geschwindigkeit vorbeilaufender Film kontinuierlich belichtet. Für statische Elemente, die sich „in (bzw. räumlich vor) dem Schlitz“ befinden, bedeutet dies, dass sie als langgezogener Streifen erscheinen. Sie bewegen sich nicht, während der Film ohne anzuhalten weiterläuft. Daraus ergibt sich, dass nur Objekte deutlich erkennbar abgebildet werden, die sich vor dem Schlitz bewegen. Am konkretesten erscheinen sie, wenn sie den Schlitz mit der gleichen Geschwindigkeit passieren, die auch der Film hat. Dies zeigt, dass die zeitabhängige Komponente Geschwindigkeit eine räumliche Auswirkung auf den Fotografien verursacht.

KOSCHIES reizen mit ihren Arbeiten die künstlerische Seite der Schlitzfotografie in all ihrer Tiefe aus. Anfangs noch mit einer analogen Schwarz-Weiß-Kamera, mittlerweile mit einer digitalen Farbschlitzkamera. Ihre Arbeit ist unterteilt in Zyklen, von denen die jüngste Werkreihe sich dem Porträt widmet.

Die Aufmerksamkeit eines neugierigen und kreativen Publikums kann in dieser Ausstellung einem außergewöhnlichen Spektrum an Zeitextrakten begegnen, die gleichzeitig verwirren und auf eine faszinierende Weise neu orientieren und inspirieren.

Johanna Sumpfdorff

Galerie Kunst-Kontor, Potsdam: „25 Jahre KOSCHIES / Mirakel – Bilder aus der 4. Dimension“.
13. September – 31. Oktober 2015